Juristenausbildung in der
Europäischen Union
Voraussetzungen und Hindernisse für ein transnationales „europäisches“
Ausbildungsmodell
(Gefördert durch die Fritz Thyssen-Stiftung)
1. Zusammenfassung
Seit wenigstens zwei Jahrzehnten
bildet sich allmählich ein europäischer Rechtsraum, der sich inzwischen auch als
Justizraum definieren kann. Dies verändert zunehmend die juristischen
Professionen, vor allem die Anwaltschaft, und führt zu einer zunehmenden
Verflechtung der europäischen Justizsysteme. Ein überraschender Befund gesellt
sich jedoch zu dieser Situationsbeschreibung: Die Juristenausbildung ist bis
heute, trotz mancher Initiativen, im Kern national geblieben. Die Rechts- und
vor allem die Ausbildungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten der EU blieben
bis heute für eine große Mehrheit der Rechtspraktiker jeweils noch weitgehend
unbekannt. Hier setzt das geplante Forschungsprojekt an. Unabhängig von europa-
und rechtspolitischen Vorurteilen gilt es die Rahmenbedingungen auszuleuchten,
unter denen eine „europäische“ Juristenausbildung sich verwirklichen lässt. Es
gilt einmal, eine präzise Bestandsaufnahme der historisch gewachsenen nationalen
Ausbildungssysteme vorzunehmen; es gilt ferner, die Rahmenbedingungen in
sprachlicher, didaktischer und organisatorischer Hinsicht zu ermitteln, um einen
gemeinsamen Rechtsunterricht von Absolventen aus unterschiedlichen nationalen
Ausbildungstraditionen zu ermöglichen.
2. Stand der Forschung
2.1 Problembeschreibung
Die juristischen Berufe in Europa –
vor allem die Anwaltschaft – internationalisieren sich. Dieser Befund ist seit
etlichen Jahren Gegenstand einer ausgiebigen und kontroversen Diskussion in der
wissenschaftlichen und rechtspolitischen Öffentlichkeit. Die Gründe einer
solchen Internationalisierung der juristischen Berufe sind vielfältig. Die
Integration der Volkswirtschaften im Rahmen des europäischen Binnenmarktes
bewirkt, dass auch der professionelle und rechtstechnische Hintergrund der
Rechtspflege zunehmend „europäisch“ wird. Die normative Tätigkeit der
Europäischen Gemeinschaften, insbesondere in Form von Verordnungen und
Richtlinien, strahlt in zunehmender Weise auch in die nationalen Rechtsordnungen
hinein. Ein wesentlicher Anteil des nationalen Wirtschafts- und
Verbraucherschutzrechts ist heute weitgehend vom europäischen Recht bedingt.
Darüber hinaus erfahren auch die juristischen Professionen, hier insbesondere
die Anwaltschaft, durch die zunehmende Verflechtung der Tätigkeit auch
mittelständischer Wirtschaftsunternehmen über die nationalen Grenzen hinaus eine
strukturelle Veränderung. Das Tätigkeitsfeld des in der Praxis agierenden
Juristen beschränkt sich nicht mehr auf die nationale Rechtsordnung, sondern
erfordert mehr und mehr auch wenigstens Grundlagenkenntnisse der Rechtsordnungen
der übrigen Mitgliedsstaaten. Anders als noch vor einigen Jahren gilt dies nicht
nur für einige im internationalen Bereich spezialisierte Kanzleien, sondern
zunehmend auch für den Anwalt mit einem durchschnittlichen Mandantenkreis. Die
wachsende Notwendigkeit von Kenntnissen im Bereich der Rechtsordnungen der
übrigen Gemeinschaftsstaaten wird ferner zunehmend durch die Niederlassungs- und
vor allem die Dienstleistungsfreiheit der Anwaltschaft im Rahmen des
Europäischen Binnenmarktes ausgelöst. Die Möglichkeit der Anwaltstätigkeit in
einem anderen EU-Land bleibt jedoch nur theoretisch, wenn der juristische
Nachwuchs nicht bereits im Rahmen seiner universitären Aus- und Fortbildung
Grundlagenkenntnisse der ihm fremden Rechtsordnungen vermittelt bekommt. Daraus
erklärt sich die zunehmende Diskussion in den letzten Jahren zu einer
„europäischen“ Juristenausbildung.
Die oben beschriebene Entwicklung wurde durch das Europäische Gemeinschaftsrecht
eingeleitet und begleitet, von der Dienstleistungsrichtlinie des Jahres 1977 bis
zur Hochschuldiplom-Anerkennungsrichtlinie von 1989. Nach deren Umsetzung in
Deutschland durfte jeder, der die Voraussetzungen der Zulassung zu einer
Anwaltschaft in der EU vorzeigen konnte, nach Ableistung einer Eignungsprüfung
die Anwaltschaftszulassung in Deutschland beantragen. Die
Freizügigkeitsrichtlinie 98/5 EG vom 16.02.1998 hat vor einigen Jahren diese
Entwicklung abgeschlossen (vgl. Chr. Sobatta/Chr. Kleinschnittger, Freizügigkeit
für Anwälte in der EU nach der Richtlinie 98/5 EG, in: EuZW 1998, S.645 ff.).
Sie wurde zum 09.03.2000 in deutsches Recht umgesetzt (Gesetz zur Umsetzung von
Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der
Rechtsanwälte, BGBl. I 2000, S.182-192). Die hier skizzierte
gemeinschaftsrechtliche Entwicklung definiert zugleich die erste
Aufgabenstellung des anvisierten Forschungsprojekts. Der Stand der rechtlichen
Umsetzungen in den Ländern der EU, vor allem die praktische Handhabung des von
der EU zur Verfügung gestellten rechtlichen Rahmens in den einzelnen Ländern,
bedarf einer umfassenden und transparenten Information. (Für einige wenige Daten
vgl. H.J. Rabe, NJW 1995, S.1443; H.S. Heinen, JA 1993, Heft 8-9, S.185 ff.;
zusammenfassend H. Merle, Freizügigkeit für Rechtsanwälte in der Europäischen
Union, 1995). Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Rechtslage und vor allem der
tatsächlichen Handhabungspraxis in den einzelnen EU-Ländern ist unerläßlich.
Unerlässlich ist hier insbesondere eine Bestandsaufnahme der rechtlichen und
tatsächlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen bei der Ausbildung von
Juristen in den einzelnen europäischen Ländern. Gerade in diesem Zusammenhang
ist eine umfassende und transparente Untersuchung vonnöten.
Die universitäre deutsche, aber auch ausländische Juristenausbildung muss ferner
von der oben beschriebenen strukturellen Veränderung der juristischen
Professionen Kenntnis nehmen. Darin liegt die zweite Aufgabenstellung des
vorliegenden Projekts: die Entwicklung eines Ausbildungskonzepts, das nach
Inhalt, didaktischer Ausrichtung in Vermittlung und Anforderungen geeignet ist,
Universitätsabsolventen aus verschiedenen Ausbildungstraditionen in gemeinsamen
Aus- und Fortbildungsveranstaltungen für juristische Aufgaben in mehreren
EU-Ländern zu qualifizieren und vorzubereiten. Der europäische
Integrationscharakter eines solchen noch zu konzipierenden Ausbildungskonzepts
sollte nach Ansicht des Antragstellers darin liegen, dass es sich dabei nicht
nur um eine additive Zusammensetzung von nationalen Abschnitten juristischer
Ausbildungen handeln würde, sondern um ein Lehrangebot, das spezifisch und
gemeinsam Absolventen aus verschiedenen Rechtsordnungen eine juristische
Befähigung vermitteln müsste. Die europäisch geförderten Austausch-Programme
„Sokrates“ und „Erasmus“ zur Studenten- und Dozenten-Mobilität haben in den
vergangenen Jahren dies keinesfalls befriedigend verwirklicht, wenigstens was
die Juristenausbildung angeht. Gewaltige Hindernisse stehen nämlich der
praktischen Realisierung einer solchen Idee gegenüber: Die juristischen
Ausbildungsformen sind, sowohl hinsichtlich der Lehrvermittlung als auch
hinsichtlich der Art und Modalitäten der Prüfungen, in den europäischen Ländern
erheblich verschieden. Die Unterschiede betreffen keineswegs nur die rechtlichen
Rahmenbedingungen und den äußerlichen Ablauf von Ausbildung und Prüfung.
Wesentlich ist vielmehr, dass Denkweise, Denkstrukturen und
Ausbildungstraditionen in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen historisch
verschieden geprägt sind. Dieses zentrale Problem einer europäischen
Rechtsintegration wird zunehmend in der rechtswissenschaftlichen Forschung
erkannt (vgl. etwa F. Ranieri, Der europäische Jurist, Rechtshistorisches
Forschungsthema und rechtspolitische Aufgabe, in: Ius Commune 17 (1990), S.9-25;
Fritz Rittner, Das Gemeinschaftsprivatrecht und die europäische Integration, in:
JZ 1995, S.849 ff., insbesondere S.854: „Nicht nur die Gesetzestexte und die
Lehren sowie Methoden der Wissenschaft unterscheiden sich erheblich voneinander;
auch die Richter verstehen ihre Aufgabe, den nationalen Traditionen folgend, von
Land zu Land in durchaus verschiedener Weise … Seit Jahrhunderten haben sich die
Rechtsausbildung, die Gewohnheiten der Rechtspraxis, die Positionierung der
dritten Gewalt u.a.m. auseinander entwickelt“; zuletzt F. Ranieri, in: DRiZ
1998, insb. S.291-294).
2.2 Aktueller Diskussionsstand
Die Notwendigkeit der Erarbeitung
von internationalen postuniversitären professionellen Ausbildungsmodellen, die
zugleich für Rechtsabsolventen aus mehreren europäischen Ländern geeignet sind,
wird seit etlichen Jahren in der Fachwelt ausgiebig diskutiert. Die
Notwendigkeit einer Vermittlung eines „europäischen Grundlagenwissens“ wurde
seit Anfang der 90er Jahre zunehmend gefordert (vgl. F. Ost/M. van Hoecke, Pour
une formation juridique européenne, Journal des Tribunaux, 1990, S.105-106;
idem, Naar een Europese rechtsopleiding, Rechtskundig Weekblad, 1989/90,
S.1001-1002; idem, Für eine europäische Juristenausbildung, JZ 1990, S.911 f.;
D. Willoweit/B. Großfeld, Juristen für Europa, JZ 1990, S.605 ff. (606 f.). Der
Enthusiasmus und der Idealismus mancher Diskussionsbeteiligter, gelegentlich
auch die europa- und rechtspolitische Stoßrichtung manchen Beitrags, hat
allerdings zugleich in den letzten Jahren den Blick für die für solche Pläne
notwendigen und für die derzeit tatsächlich möglichen Rahmenbedingungen einer
derartigen „Europäisierung“ der Juristenausbildung in den Hintergrund treten
lassen: Die universitären juristischen Ausbildungsstrukturen sind – wie eben
erwähnt - , sowohl was die didaktische Stoffvermittlung, als auch was die
Prüfungstraditionen angeht, in den einzelnen europäischen Ländern erheblich
verschieden und z.T. fast gegensätzlich. Die Unterschiede betreffen keinesfalls
nur die rechtlichen Rahmenbedingungen und den äußeren Ablauf von Ausbildung und
Prüfung. Wesentlich ist vielmehr, dass – wie bereits betont - Denkweise,
Denkstrukturen und Ausbildungstraditionen in den einzelnen europäischen
Rechtsordnungen historisch verschieden geprägt sind. Auch in organisatorischer
und inhaltlicher Hinsicht gibt es in der Juristenausbildung in den einzelnen
Ländern beträchtliche Unterschiede. Untersuchungen hierzu gibt es z.Zt.
allerdings nur in ersten Ansätzen (vgl. zunächst J. Lonbay, Differences in the
Legal Education in the Member States of the European Community, in: The Common
Law of Europe and the future of legal education, Deventer (: Kluwer) 1992, S.75
ff.). Eine erste Piloststudie im Rahmen von Seminarveranstaltungen an der
Universität des Saarlandes in den Jahren 1996-97 hat die Tragweite solcher
Unterschiede deutlich gemacht. Eine umfassende und dokumentierte
Bestandsaufnahme ist hier unbedingt erforderlich (vgl. dazu neuerdings F.
Ranieri, Juristen für Europa, JZ 1997, S.801 ff., insb. S.803-810, m.w.N.). Die
Entwicklung eines solchen „europäischen“ Konzepts für die Ausbildung von
Juristen steht im Zentrum auch der gegenwärtigen Debatte zur Ausformung eines
europäischen Zivilrechts (zuletzt etwa A. Flessner, Juristische Methode und
europäisches Privatrecht, in: JZ 2002, S.14 ff., insb. S.21-22; B. Markesinis,
Unité ou divergence: à la recherche des ressemblances dans le droit européen
contemporain, in: Revue internationale de droit comparé (2001), S.807 ff., insb.
S.809-812 ; H. Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, in :
Juristenzeitung 2002, S.257 ff., insb. S.257 und S.259; M.W. Hesselink, The New
European Legal Culture, Deventer 2001, insb. S.60-64; E.M. Kieninger,
Europäisches Vertragsrecht in der Lehre. Bericht über die Podiumsdiskussion, in:
Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht (J. Basedow
ed.), Tübingen 2000, S.215-218). Gerade in Anbetracht der historisch gewachsenen
Unterschiede in Didaktik und Denkweise in der Juristenausbildung in den
einzelnen europäischen Ländern scheint es zudem erforderlich zu sein, ein
solches Thema frei von europa- und rechtspolitischen Vorurteilen anzugehen.
Darunter leiden – nach Ansicht des Antragstellers – wesentlich manche von der
EU-Kommission geförderte Initiativen und Projekte. Die europa- und
rechtspolitische Aufgabe einer wissenschaftlichen Reflexion zu diesem Thema
liegt vor allem darin, dass frei und unabhängig von den rechtspolitischen
Erwartungen von Auftraggebern und Betroffenen eine grundsätzliche Untersuchung
über die Rahmenbedingungen durchgeführt wird, unter welchen Rechtspraktiker und
Rechtspolitiker, über ihr nationales Selbstverständnis hinaus, über die
Unterschiede, die gegensätzlichen Entwicklungen und die funktionalen
Ähnlichkeiten bei den einzelnen europäischen juristischen Ausbildungssystemen
aufgeklärt werden können. Die derzeitige Diskussion über die „Europäisierung“
der Juristenausbildung bedarf deshalb der Aufklärung über die rechtspolitischen,
aber vor allem auch über die tatsächlichen Handlungsspielräume, die hier
vorliegen, welche nur Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung geben können.
2.3 Eigene Vorarbeiten
Der Antragsteller hat die hier
skizzierte Problematik in zahlreichen rechtsvergleichenden und
rechtshistorischen Studien seit den 90er Jahren verfolgt. Eine erste
Zusammenfassung seiner Ergebnisse bietet seine Saarbrücker Antrittsvorlesung (JZ
1997, S.801 ff., insb. S.803-810), die dem Antrag als Anlage beigefügt ist. Als
eigene Publikationen des Antragsstellers auf dem Forschungsgebiet des Projekts
seien hier chronologisch genannt:
Der europäische Jurist. Rechtshistorisches Forschungsthema und rechtspolitische
Aufgabe, in: Ius Comune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für
europäische Rechtsgeschichte, Vol. XVII (1990), S.9-25
Juristische Arbeitsstile im historischen Vergleich: beschleunigende Faktoren
oder Hindernisse einer europäischen Rechtseinheit?, in: European Private Law:
Problems and Prospects. (Atti Convegno internazionale di Studio. Università di
Macerata, 8-9 giugno 1989), Milano (: Giuffrè) 1993, p.59-68
Styles judiciaires dans l’histoire européenne: modèles divergents ou traditions
communes?, in : R. Jacob (ed.), Le juge et le jugement dans les Traditions
juridiques européennes. Etudes d’histoire comparée (Droit et Société vol. 17),
Paris ( : LGDJ) 1996, p.181-195
Juristen für Europa : Wahre und falsche Probleme in der derzeitigen
Reformdiskussion zur deutschen Juristenausbildung, in : Juristenzeitung 52
(1997), S.801-813; auch in: Juristenausbildung zwischen Internationalität und
Individualität, hrsg. von Dieter Strempel, Baden-Baden (: Nomos) 1998, S.275-322
Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen
zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: Zeitschrift für Europäisches
Privatrecht (1997), Heft 3, S.718-734
Juristenausbildung und Richterbild in der europäischen Union (Fest-Vortrag vom
4.3.1998 für das 25jährige Jubiläum der Deutschen Richterakademie in Trier), in:
Deutsche Richterzeitung 76 (1998) S.285-294
Giuristi per l’Europa: come fare e come non fare una riforma degli studi di
diritto in Italia, in: Quaderni di diritto privato europeo a cura di A.
Jannarelli, G. Piepoli, N. Scannicchio, Nr.2 (Bari 1998), p.97-124.
3. Ziele und Arbeitsprogramm
3.1 Ziele
Der europäische
Integrationscharakter des im Rahmen dieses Projektes zu entwickelnden
Ausbildungsmodells für Juristen soll nicht auf eine additive Zusammensetzung von
nationalen Abschnitten juristischer Ausbildungen reduziert werden. Es geht hier
vielmehr darum, ein didaktisches Konzept zu entwerfen, das sich spezifisch und
gemeinsam an Absolventen aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen richten
soll, die eine mehr oder weniger national geprägte universitäre Ausbildung
wenigstens z.T. bereits durchlaufen haben. Ein solches Ausbildungs- und
Vermittlungskonzept existiert bis heute noch nicht und wäre ganz neu zu
entwickeln. Die Addition von „nationalen“ juristischen Lehrveranstaltungen
scheint hier nicht ausreichend und eher kontraproduktiv zu sein. Vielmehr müssen
die Absolventen in die nationalen unterschiedlichen Denkweisen und
Denktraditionen eingeführt werden. Am Ende des Projekts wird deshalb erwartet,
über Konzepte und Modelle zu verfügen, wie solche „europäischen“ universitären
und postuniversitären Lehrveranstaltungen zur Aus- und Fortbildung von Juristen
organisiert und strukturiert werden können.
3.2 Arbeitsprogramm
Die Durchführung des Projektes,
dessen Unterstützung hier beantragt wird, soll sich auf zwei Ebenen realisieren:
Zum einen gilt es, eine präzise, detaillierte und dokumentierte Bestandsaufnahme
vorzunehmen. Eine umfassende, vergleichend angelegte Untersuchung über die
unterschiedlichen Unterrichtsmethoden und Prüfungsanforderungen bei der
universitären und postuniversitären Juristenausbildung in den einzelnen
europäischen Ländern liegt bis heute nicht vor. Es gilt hier nicht nur die
rechtlichen, sondern vor allem auch die tatsächlichen Rahmenbedingungen zu
erfassen und zu analysieren. Unzählige Studien und Stellungsnahmen existieren
selbstverständlich in allen europäischen Ländern, zumal das Thema
rechtspolitisch – nicht nur in Deutschland – außerordentlich umstritten und
aktuell ist. Was fehlt, ist jedoch eine auch historisch und funktional
strukturierte und vor allem vergleichend angelegte Gesamtdarstellung, die die
tatsächlichen Unterschiede und die funktionalen Gleichartigkeiten dieser
verschiedenen Modelle von Ausbildung und Prüfung beleuchtet und nachweist.
Im Rahmen von mehreren Lehrveranstaltungen an der Universität des Saarlandes ist
am Lehrstuhl für Europäisches Zivilrecht eine umfangreiche
Materialiendokumentation zu dem juristischen Unterricht in den jeweiligen
europäischen Ländern angelegt worden. Im Rahmen des hier vorgelegten
Arbeitsvorhabens gilt es, dieses Material zu ergänzen, systematisch auszuwerten
und in einer umfassenden Gesamtdarstellung zusammenzufassen. Dabei wird auch zu
klären sein, ob aus den zahlreichen europäischen Austauschprojekten von
Studenten und Dozenten Veränderungen in der Erscheinungsform und in den Methoden
der nationalen Juristenausbildung zu erwarten sind. Eine solche Arbeit kann nur
in Zusammenarbeit und in Erfahrungsaustausch mit den in der Ausbildung tätigen
Kollegen im europäischen Ausland durchgeführt werden. Der Antragsteller hat seit
etlichen Jahren Zivilrecht in mehreren europäischen Ländern gelehrt. Er wirkt
z.Zt. nicht nur bei der deutschen, sondern auch bei der französischen
Juristenausbildung am Saarbrücker Centre Juridique Franco-Allemand und an der
Straßburger Faculté de Droit mit. Wegen der Saarbrücker Austauschprogramme
bestehen zudem enge Kontakte zu den Fakultäten von Lille und Nancy II sowie
Warwick und Exeter. Verbindungen hat der Antragsteller zudem zur italienischen
Rechtsfakultät der katholischen Universität Mailand und zu zahlreichen Kollegen
der Faculté Internationale de Droit Comparé. Kontakte existieren ferner zu der
französischen Ecole Nationale de la Magistrature in Frankreich und mit einigen
in der praktischen Ausbildung tätigen Mitgliedern der italienischen
Anwaltschaft. Kontakte bestehen weiterhin bereits zu deutschen Kollegen und
Anwälten, die in der Referendarausbildung tätig sind, sowie zur deutschen
Richterakademie in Trier.
Die zweite Ebene beinhaltet die Entwicklung der Grundlagen eines Konzepts für
ein europäisches juristisches Ausbildungsmodell. Um auch hier den Aufwand
realistisch zu halten, beabsichtigt man, sich zunächst auf das Zivilrecht zu
beschränken. Die unterschiedlichen nationalen universitären
Ausbildungstraditionen sind in absehbarer Zeit nicht wegzudenken. Es geht hier
also um die Ermittlung der Rahmenbedingungen in sprachlicher und didaktischer
Hinsicht, welche für gemeinsame Veranstaltungen für junge Rechtsabsolventen aus
mehreren EU-Ländern erforderlich sind. Der Antragsteller beabsichtigt, die zu
entwickelnden didaktischen Modelle im Rahmen des Möglichen in der praktischen
Unterrichtsrealität der internationalen Lehrveranstaltungen in Saarbrücken zu
erproben; etwa im Rahmen von Lehrveranstaltungen am Centre Juridique
Franco-Allemand und am Europa-Institut. Am Ende des Projekts erwartet er
Ergebnisse z.B. darüber, in welchem Umfang Übersetzungen der jeweiligen
Rechtstexte erforderlich sind und inwieweit der Zugang zu den Quellen in der
jeweiligen Originalsprache möglich und didaktisch zu verwirklichen ist. Ferner
fragt es sich, ob eine einzige oder aber bewusst mehrere Unterrichtssprachen
sich hier empfehlen. Dasselbe gilt für Erkenntnisse, ob sich hier eine
systematische oder eine eher fallorientierte Präsentation des Rechtsstoffs
empfiehlt. Insoweit erhofft sich der Antragsteller im Rahmen dieses Projekts
eine Ergänzung und eine Erweiterung der Einsichten, die derzeit im Rahmen des
von der DFG geförderten Projekts „Europäisches Obligationenrecht. Ein Lehr- und
Textbuch“ gewonnen werden. Gewichtige Indizien sprechen bereits dafür, dass die
kasuistische, fallbezogene Methode, die typisch ist für den Rechtsunterricht an
den amerikanischen Law Schools, auch als Vorbild für neue Formen von
„europäischem“ Unterricht und Prüfung dienen kann und wahrscheinlich dienen
wird.