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Literatur
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Hirte, Heribert/Mock, Sebastian,
Die
Juristenausbildung in Europa vor dem Hintergrund des BolognaProzesses, in: JuS Beilage 12/05 S.3 ff
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Hochschulstudium
Der Zugang zum Studium in Belgien führt über eine Bewerbung
direkt bei der Hochschule und setzt ein belgisches Abitur voraus, bzw. eine
Prüfung, die die Hochschulreife nachweist. Falls dieses Abitur im anderen Teil
Belgiens (Flandern oder Wallonie) abgelegt wurde, muss zusätzlich noch ein
Sprachnachweis erbracht werden. Für Studierende aus anderen europäischen Ländern
gilt, dass deren ausländisches Abitur anerkannt wird, sie aber in Belgien eine
Sprachprüfung bestehen müssen, bevor sie sich einschreiben können. Die
Studiengebühren betragen 726 € pro Jahr (Uni Lüttich). Die belgischen
Universitäten werben aktiv um Studenten, indem sie sich den Schulabgängern auf
Universitätsbörsen präsentieren. Aufnahmeprüfungen gibt an belgischen
Universitäten nicht, eine Selektion findet durch schwere Prüfungen in den ersten
Jahren statt.
Das belgische Studiensystem unterliegt zur Zeit den Reformen,
die der Bologna-Prozess fordert. Ab dem akademischen Jahr 2004/05 wird an allen
belgischen Universitäten Jura nach Bologna-Modell unterrichtet, also mit
dreijährigem Bachelor-Studium und anschließend zweijährigem Masterstudium.
Zu den Pflichtfächern gehören neben den klassischen Gebieten
des Zivilrechts (Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht), Strafrechts und
öffentlichen Rechts (Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht,
Staatsorganisationsrecht) auch viele Fächer, die in Deutschland eher zu den
Randgebieten zählen, so z.B. römisches Recht, heutige Philosophie, Völkerrecht
an manchen Universitäten auch Rechtsethik, Rechtssoziologie, Naturrechtslehre
und Rechtsvergleichung. Zudem gehören z.B. in Namur Sprachkurse im Englischen
und Niederländischen zu den Pflichtfächern. Die Uni Antwerpen teilt ihre
Vorlesung jedes Jahr in die drei Bereiche "Grundlagen und Hilfswissenschaften"
(z.B. Rechtsphilosophie, Römisches Recht, Ökonomie), "Juristische Fächer und
Übungen" (z.B. Staatsrecht, Europarecht), sowie "Fertigkeiten" (z.B.
"Verhandeln", "Rechtsterminologie") ein.
Studienplan Uni Gent
(englisch);
Studienplan Uni Antwerpen (niederländisch)
Studienplan Uni Antwerpen
(englisch);
Studienplan Uni Namur (französisch)
Uni Lüttich;
Freie Uni
Brüssel;
Katholische Uni Louvain;
Katholische Uni Leuven;
Uni Gent;
Uni
Antwerpen;
Uni Namur;
Das Studium dauert drei Jahre für einen Bachelor und weitere
zwei Jahre für einen Master. Auslandssemester sind darin ohne Zeitverlust
integrierbar.
In Belgien dominiert als Veranstaltungsform die klassische
Vorlesung. Zu manchen Vorlesungen, vor allem im juristischen Pflichtfachbereich,
werden auch begleitende Arbeitsgemeinschaften angeboten. In diesen
Arbeitsgemeinschaften wird kontinuierliche Mitarbeit verlangt. Die Studenten
müssen jede Woche ein gewisses Arbeitspensum absolvieren, bestimmte Aufgaben
bearbeiten und Urteile lesen. Zu den einzelnen Fächern werden zahlreiche Urteile
ausgeteilt, die die Studenten lesen und auch als Wissen für die Prüfung parat
haben müssen. Die Mitarbeit in den Arbeitsgemeinschaften wird benotet.
Die Vorlesungen finden in sehr großen Gruppen von bis zu 500
Studenten statt, so dass eine sehr distanzierte Atmosphäre herrscht. Der
Unterricht strukturiert sich zwar thematisch an Theorie und Dogmatik des Rechts,
jedoch wird dabei immer Bezug auf Rechtsprechung und praktische Fälle genommen.
Die Vorlesungsmitschrift ist als Grundlage für die Prüfungsvorbereitung nicht
ausreichend, so dass die belgischen Studenten viel in Büchern lesen. Diese
Bücher werden häufig zu subventionierten Preisen an den Universitäten verkauft.
Professoren, die selbst Bücher geschrieben haben, verkaufen diese oft zum
Selbstkostenpreis an ihre Studenten.
In den Veranstaltungen,
die juristische Fertigkeiten vermitteln sollen, werden auch spezielle Übungen
dazu abgehalten, wie z.B. Verhandlungstraining.
Jedes Fach wird am Ende des Semesters benotet, wobei es
verschiedene Prüfungsformen gibt. Teilweise werden Klausuren geschrieben, die
vor allem in Form von Themenaufsätzen gestellt werden, es gibt aber auch
multiple choice Prüfungen gestellt oder Fallfragen. Teilweise gibt es mündliche
Prüfungen, und in anderen Fächern muss eine schriftliche Hausarbeit angefertigt
werden. Bei den Prüfungen dürfen immer unkommentierte Gesetzestexte verwendet
werden, in manchen Fächern auch Fallsammlungen. Unabhängig davon, ob man die
Fallsammlungen benutzen darf, muss man in Belgien für die Prüfung die
Rechtsprechung zu dem Rechtsgebiet kennen und in der Prüfung darstellen. Alleine
die Vorlesungsmaterialien sind jedoch nicht ausreichend als
Prüfungsvorbereitung. Zusätzlich müssen die Studenten sich im Selbststudium
Wissen aus Büchern aneignen. Dabei wird keinerlei Wert auf auswendig Gelerntes
gelegt sondern es kommt auf das Verständnis der Materie an. Die Prüfungen sind
sehr anspruchsvoll und die Durchfallquoten entsprechend hoch. Ca. die Hälfte der
Studenten schafft das erste Jahr nicht und auch im zweiten und dritten Jahr
fällt noch jeweils ein Drittel der Studenten durch die Prüfungen. Wer durch eine
Prüfung fällt bekommt noch zwei weitere Versuche, diese zu bestehen.
Eine zentrale Abschlussprüfung gibt es in Belgien nicht. Es
werden im dritten Jahr die normalen Prüfungen zu den Fächern des Jahres
abgehalten.
Die katholische Universität Leuven gibt seit 1964 die
juristische Studentenzeitschrift "jura falconis" heraus. Sie erscheint vier Mal
im Jahr.
Keine kommerziellen Angebote bekannt.
Wahlmöglichkeiten innerhalb des Bachelorstudiums gibt nur
sehr begrenzt. Lediglich im zweiten und dritten Jahr können ein oder zwei Kurse
nach Wahl belegt werden, wobei die Auswahl sich auf einige wenige Fächer
beschränkt wie z.B. in Gent auf Rechtsökonomie, Rechtssoziologie, Kriminologie
und Rechtsanthropologie.
An allen belgischen Universitäten werden fachspezifische
Fremdsprachenkenntnisse unterrichtet, an den meisten besteht sogar die Pflicht,
eine Fremdsprachenvorlesung zu besuchen. Außerdem finden manche Veranstaltungen
aus dem Wahlfachbereich auf English statt, vor allem wenn sie einen
internationalen Bezug haben. Ausländisches Recht im eigentlichen Sinne wird
dagegen kaum unterrichtet, es werden lediglich in den normalen Vorlesungen
Vergleiche v.a. zu Frankreich und den Niederlanden gezogen.
Allerdings bestehen natürlich an jeder Uni zahlreiche
Partnerschaften mit ausländischen Universitäten. Vielfach werden die im Ausland
erworbenen Credit Points in Belgien anerkannt, so dass zumindest nominell durch
einen Auslandsaufenthalt kein Zeitverlust entsteht (vergleiche hierzu die
Socrates Policy
der Uni Gent). Allerdings fehlen dann die Kenntnisse des belgischen Rechts
bezüglich der Fächer, die man statt in Belgien im Ausland studiert hat. Daher
achten die Studenten meistens darauf, dass sie nur diejenigen Fächer durch Kurse
im Ausland ersetzen, die sie nicht in ihrem angestrebten Berufsfeld benötigen.
Es gibt zwar in Belgien keine Pflichtpraktika, allerdings
bieten mehrere Universitäten die Vermittlung von freiwilligen Praktika in
Kanzleien an. Außerdem wird an einigen Universitäten Wert auf praktische
Fähigkeiten gelegt und daher auch Fächer wie Verhandlungstechniken gelehrt.
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Vertiefungsstudien |
Im Anschluss an den Bachelor kann nach der vollständigen
Umstellung auf das neue Studiensystem an allen Universitäten ein zweijähriges
Masterstudium absolviert werden. Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten, sich
zu spezialisieren. Beispielsweise in Antwerpen können die Studenten zwischen
einer Vielzahl von angebotenen Fächern frei wählen um einen generellen Master
der Rechte zu erlangen oder sich auf einen bestimmten Bereich konzentrieren,
um einen spezialisierten Master zu erlangen in den Fächern:
Zivil-/Straf-/Prozessrecht; Handels-/Wirtschaftsrecht; öffentliches Recht;
Völker-/Europarecht; Steuerrecht; Sozialrecht;
Link:
Studienplan Antwerpen
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Berufszugang
Die erste Voraussetzung für den Zugang zur Anwaltschaft in
Belgien ist ein fünfjähriges Universitätsstudium, bisher also eine "licence", in
Zukunft ein Master in Jura. Dann wird der Kandidat von einem Anwalt mit
mindestens zehn Jahren Berufserfahrung beim Cour d'Appel vorgestellt, wo er
seinen Eid ableisten muss. Danach kann er bei der Anwaltskammer die Aufnahme in
die Liste der Referendare ("stagiaires") beantragen. Dieses Referendariat ("stage")
muss der Kandidat dann bei einem Anwalt mit mindestens fünf Jahren
Berufserfahrung ableisten, dem "patron". Es dauert drei Jahre und wird
relativ schlecht bezahlt. Allerdings besteht kein Rechtsanspruch auf einen
derartigen Ausbildungsplatz, so dass die Absolventen sich in Eigeninitiative um
diese Plätze bewerben müssen und teilweise auch leer ausgehen.
Während des Referendariats bearbeitet
der Kandidat selbständig Fälle und darf auch vor Gericht auftreten. Außerdem
muss er am Rechtsberatungsservice für Bedürftige teilnehmen. Während der
Referendariatszeit müssen von der Anwaltskammer organisierte Kurse (insgesamt
116 Stunden) besucht werden, an deren Ende eine Prüfung bestanden werden muss,
die sich hauptsächlich mit Fragen des Prozessrechts und der Rechtsberatung
befasst, aber auch Familienrecht und Ausländerrecht umfasst. Zudem muss der
Referendar Übungen im Plädieren besuchen. Nach drei Jahren Referendariat und
Erfüllung aller genannter Verpflichtungen kann der Kandidat bei der
Anwaltskammer die Aufnahme in Liste der Anwälte beantragen.
Links: flämische
Anwaltskammer; wallonische
Anwaltskammer;
Anwaltsausbildung bei der Brüsseler Anwaltschaft
In Belgien arbeiten zahlreiche Juristen in der
öffentlichen Verwaltung. Der Zugang ist abhängig vom einzelnen Posten.
Es gibt zwei verschiedene Wege, um in Belgien Richter zu
werden. Der erste richtet sich an junge Universitätsabsolventen. Sie müssen eine
dreijährige Ausbildung durchlaufen, davon 18 Monate bei der Staatsanwaltschaft,
3 Monate bei entweder einem Anwalt, einem Notar oder im Strafvollzug und 15
Monate bei Gericht. Parallel dazu findet eine theoretische Ausbildung statt in
Form von Unterricht und einem einwöchigen Seminar, bei dem sich alle Kandidaten
des Landes treffen.
Der zweite Weg richtet sich an erfahrene Juristen aus anderen
Berufszweigen, die mittels eines Eingangstest und einer "Umschulung" direkt
Richter werden können.
Am 31.03.2004 hat die Justizministerin Laurette Onkelinx die
Einrichtung eines dritten Weges vorgeschlagen. Juristen mit einer sehr langen
Berufserfahrung (mindestens 20 Jahre) sollen allein mittels einer mündlichen
Prüfung den Zugang zur Richterschaft erhalten, da die Erfahrung zeige, dass
diese Gruppe mit großer Berufserfahrung kaum die Mühen traditioneller Examina
auf sich nimmt.
Die Notare werden in Belgien durch königlichen Erlass
ernannt. Um ernannt zu werden, muss ein Anwärter zunächst ein fünfjähriges
Jurastudium plus ein Jahr Schwerpunktstudium Notariat absolvieren. Der nächste
Schritt ist eine dreijährige praktische Ausbildung bei einem zugelassenen Notar.
Danach muss eine Prüfung bestanden werden, aus der eine Reihenfolge der Anwärter
erstellt wird. Bei einer freien Notarstelle wählt dann der Justizminister einen
der drei besten Kandidaten aus, der dann vom Monarchen ernannt wird. In jüngerer
Zeit wurden für die Notaranwärter noch die Alternativen geschaffen, eine
Sozietät mit einem zugelassenen Notar zu gründen oder auf begrenzte Zeit als
zusätzlicher Notar ernannt zu werden.
Link: Notarausbildung; wallonische Notarkammer;
flämische Notarkammer
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